Altersvorsorgedepot 2026 – Banking beyond the hype
Langfristiger Vermögensaufbau mithilfe von Wertpapieren ist in aller Munde. Nicht nur Banken und Fintechs werben dauerhaft um eine Kapitalanlage ihrer Kunden mithilfe von Wertpapieren. Selbst politische Diskussionen über ein aktienbasiertes Portfolio wurde als ernstzunehmende Ergänzung zum Generationenvertrag ausgemacht, da eine umlagefinanzierte Rente durch den demografischen Wandel den Staatshaushalt zunehmend belastet und das deutsche Rentensystem seit Jahren als chronisch überfordert gilt.
Durch das kürzlich verabschiedete Rentenpaket II wurde das Generationenkapital als weitere Finanzierungssäule etabliert, um zukünftig neben lfd. Beiträgen und Zuschüssen aus dem Staatshaushalt, ab 2036 jährlich mindestens zehn Milliarden an Ausschüttungen erwirtschaftet zu können. Um dies zu erreichen, werden in den nächsten Jahren mindestens zwölf Milliarden Euro pro Jahr in einen Kapitalstock investiert, um diesen bis 2035 auf mindestens 200 Milliarden anwachsen zu lassen.
Gleichzeitig hat die Bundesregierung die dritte Säule der Altersvorsorge verändert und ermöglichen in Zukunft eine Förderung der privaten Altersvorsorge mit ETFs und Aktien in Form eines Altersvorsorgedepots. Eine Eine entsprechende Gesetzesänderung bei der privaten Altersvorsorge ist nun auf den Weg gebracht worden. Basierend auf den Arbeitsergebnissen der „Fokusgruppe private Altersvorsorge“ aus dem letzten Jahr, ist nun der entsprechende Gesetzesentwurf veröffentlicht worden.
Bevor wir uns aber die konkreten Auswirkungen auf Banken und die Finanzbranche ansehen, möchten wir kurz die Hintergründe und auch das erdachte Produkt erläutern.
Aber warum ist eine Reform der geförderten privaten Altersvorsorge überhaupt nötig?
Begründet wird die Reform der privaten Altersvorsorge offiziell damit, dass es nötig sei, die Attraktivität und Effizienz der privaten Altersvorsorge zu steigern. Doch was heißt das konkret? Wir haben euch die sechs wichtigsten Punkte herausgearbeitet:
- Komplexität und Kosten: Die bisherigen Modelle, wie die Riester-Rente, sind oft zu komplex und teuer, was viele Menschen davon abhält, in die private Altersvorsorge zu investieren
- Rückgang der Vertragszahlen: Die Zahl der Riester-Verträge ist seit einigen Jahren rückläufig, was zeigt, dass die bisherige Ausgestaltung der staatlich geförderten Riester-Rente ihre Attraktivität eingebüßt hat ¹
- Demografischer Wandel: Der demografische Wandel und die schrumpfende Zahl der Beitragszahler machen es dringend notwendig, kapitalgedeckte Instrumente in die Angebote zur Rentenvorsorge zu integrieren
- Notwendigkeit höherer Renditen: Die bisherigen Garantieprodukte bieten oft zu geringen Renditen, um den Lebensstandard im Alter zu sichern. Eine Reform soll chancenreichere Anlagen mit höheren Renditen ermöglichen
- Flexibilität und Transparenz: Die Reform soll die private Altersvorsorge flexibler und transparenter gestalten, um eine breite Bevölkerungsschicht anzusprechen und die Attraktivität zu steigern
- Stärkung der Eigenverantwortung: Die Reform soll die Eigenverantwortung bei der Altersvorsorge stärken und die Menschen dazu ermutigen, frühzeitig und regelmäßig in ihre Altersvorsorge zu investieren
Wie sieht die Änderung für Bürgerinnen und Bürger in Zukunft aus?
Neben Rahmenbedingungen, die für alle Produkte der privaten Altersvorsorge gelten sollen, stellt sich Christian Lindner ein selbst verwaltetes Depot zur Altersvorsorge vor.
Dieses Depot soll jedem Bürger zustehen und relativ frei bespart werden können (120 Euro jährliche Mindesteinlage, also 10 Euro pro Monat). Einzahlungen erfolgen aus dem Nettoverdienst der Bürger, die gezahlte Einkommenssteuer lässt sich über eine Sonderausgabe in der Steuererklärung zurückholen – nicht aber die gezahlten Sozialabgaben. Allerdings sollen alle Bürger einen Zuschuss von max. 600 Euro (je 20 cent Zulage pro eingezahltem Euro, bis zu einem Maximalbetrag von 3000 Euro pro Jahr) erhalten. Funktioniert dies wie bei Riester Verträgen, wird die Lohnsteuerrückerstattung resultierend aus der Sonderausgabe zur Altersvorsorge, um den erhaltenen Zuschuss geschmälert.
Aktuell ist bekannt, dass es Bürgerinnen und Bürger ab 2026 über ihr Altersvorsorgedepot erstmalig eigenständig ermöglicht wird, eigenverantwortlich Finanzprodukte zu erwerben, die bis zur Risikostufe 4 oder 5 von 7 reichen dürfen. Erträge aus Veräußerungen oder Dividendenausschüttungen bleiben bis zum Erreichen des 65. Jahres steuerfrei und werden nachgelagert erst bei Zuteilung voll besteuert.
Was wird das Altersvorsorgedepot nun grundsätzlich für Banken und Fintechs bedeuten?
Finance Forward veröffentlichte jüngst ein Interview mit Thomas Soltau von Smartbroker. Wir teilen seine Ansicht, dass das Altersvorsorgedepot zu einem weiteren Boom in der Wertpapieranlage führen wird, insbesondere für langfristige Sparpläne!
Banken und Fintechs die ein Altersvorsorgedepot anbieten wollen, werden allerdings in einen transparenten Wettbewerb gezwungen, denn Linders Pläne sehen vor, dass Anbieter die Konditionen ihres Altersvorsorgedepots an eine Vergleichsplattform melden müssen. Somit werden für Kunden grundsätzlich die Konditionen, also laufende Grundgebühren, Kosten für Kauf- und Verkauf von Wertpapieren sowie der Umfang des Assetuniversums die entscheidenden Kriterien sein, die den Ausschlag zum Abschluss eines Altersvorsorgedepots bei einem Anbieter führen.
Gibt es einen Haken?
Allerdings, denn die Vergleichsplattform soll erst ein Jahr später, also zum 01.01.2027 verfügbar sein. In der Zwischenzeit müssen sich Kunden durch Muster-Produktinformationen quälen oder sich über Drittanbieter informieren. Ob die Verzögerung der Vergleichsplattform trotz des Vorlaufs von mehr als einem Jahr nun der deutschen Digitalisierungsgeschwindigkeit geschuldet ist, oder aber eine Hintertür für ineffiziente Anbieter ist, die jedoch auf eine große Anzahl von Bestandskunden zugreifen können, gibt Raum zur Spekulation.
Alle Anbieter eines Altersvorsorgedepots werden jedoch – spätestens ab der Liveschaltung der Vergleichsplattform – im harten (Preis-)Konkurrenzkampf stehen und ein Race-to-the-bottom ist unvermeidlich. Es werden langfristig also nur viele Neukunden gewonnen werden können, wer sich im Preiskampf behaupten kann. Hier haben Neobroker, die Payment-for-Orderflow (PFOF) nutzen, sicherlich anfangs die Nase vorne, doch muss PFOF bis spätestens Ende Juni 2026, also knapp sechs Monate nach dem geplanten Start des Altersvorsorgedepots abgeschafft worden sein. Es wird spannend, wie sich die Kostenstruktur nach Juni 2026 entwickeln wird, den Kostenvorteil durch PFOF werden die Neobroker vermutlich zum Start des Altersvorsorgedepots allerdings trotzdem nutzen um viele Neukunden zu gewinnen.
Welche Arbeit kommt auf Banken und Fintechs zu?
Auf den Punkt gebracht, müssen sich zukünftige Anbieter von Altersvorsorgedepots jetzt die Frage stellen, wie sie das Altersvorsorgedepots als neue Form eines Depots in ihre technische Struktur einbinden werden. Da aktuell nicht alle Banken und Fintechs ihren Kunden anbieten, mehr als ein Depot gleichzeitig zu führen, müssen die technische Infrastruktur verändert bzw. ausgebaut und neue und teils unbekannte Schnittstellen zu Finanzämtern eingerichtet werden. Insbesondere bei den großen Neobrokern Trade Republic, Scalable oder Finanzen.net zero ist mehr als ein Depot pro Kunde bisher nicht möglich. Smartbroker+ hingegen bietet zumindest die Möglichkeit von Unterdepots an. Sinnvoll wäre es, bei der technischen Einrichtung für das Altersvorsorgedepot als zusätzliches Depot, gleichzeitig auch eine Möglichkeit für Gemeinschaftsdepots und vergleichbares zu schaffen. Dienstleister von Infrastruktur für digitalen Wertpapierhandel wie lemon.markets lassen in Interviews jedenfalls durchblicken, dass sie bereits eifrig an geeigneten technischen Lösungen arbeiten.
Als zweiten Schritt und ebenfalls entscheidend für den langfristigen Erfolg der Anbieter wird, neben den Konditionen, insbesondere die UX sein. Wir werden vermutlich unterschiedliche Ansätze sehen. Manche Anbieter werden das Altersvorsorgedepot als eine Art Unterdepot führen, andere als einen neuen Depot-Typen wie ein Firmen- oder Gemeinschaftsdepot. Doch die aufbereitete Darstellung der Informationen sowie Handlungsmöglichkeiten für den Endnutzer ist das wichtigste Kriterium, um langfristig Marktanteile zu gewinnen. Ein intuitives und für den Kunden auf Anhieb verständliches UX ist eine große Herausforderung und grobe Fehler können zu Imageverlust und zur Verringerung von Nutzerzahlen führen. Wir sind gespannt, ob es hier zu Fehlstarts beim Angebot des Altersvorsorgedepots kommen wird.
Was fehlt noch?
Ein dritter und nicht zu vernachlässigender Punkt wird die automatische Übertragung von Wertpapieren sein, denn ein einmal abgeschlossenes Altersvorsorgedepot muss nicht bis zur Zuteilung bei einem Anbieter bleiben. Lindner plant, dass nach fünf Jahren ein Anbieterwechsel ohne Wechselkosten seitens des abgebenden Anbieters ermöglicht werden muss. Aber auch, dass sich bestehende Wertpapierbestände aus laufenden Riesterverträgen auf der Altersvorsorgedepot übertragen lassen. Sicherlich haben hier insbesondere die Neobroker noch Arbeit vor sich, da nicht zuletzt Trade Republic vermehrt für eine nicht reibungslose Übertragungen von Wertpapieren und Problemen beim Service aufgefallen ist ¹ ² ³.
Aber…
… sieht man sich das potenzielle Volumen der zu erwartenden Einlagen durch Kunden im Rahmen der Altersvorsorgedepots an, stellt sich die Frage für Banken und Fintechs erst gar nicht, ob sie ein Altersvorsorgedepot anbieten wollen oder nicht. Sie sind schlicht und ergreifend dazu gezwungen, ein konkurrenzfähiges Angebot anzubieten. Andernfalls würden sie nicht nur auf bedeutende Marktanteile verzichten, vielmehr würde eine Pull-Wirkung guter Angebote bei der Konkurrenz dazu führen, dass auch bestehende Assets aus klassischen Depots der Bestandskunden vermutlich nach und nach zu Konkurrenten übertragen werden.
Wir sind gespannt, inwiefern Lindners Idealvorstellung letztlich umgesetzt werden kann, oder ob Änderungen, Einschränkungen und Ausnahmen den Weg zu einer Liberalisierung in der privaten Altersvorsorge dämpfen werden.