In unseren Beobachtungen der aktuell am Markt tätigen Low-Code-Anwendungen haben wir immer wieder teilweise signifikante Zuwächse festgestellt. In den letzten Jahren hat sich allerdings im beobachteten Muster etwas verändert. Die Veränderung selbst ist leicht zu verstehen, es sind vermehrt Zukäufe und Zusammenschlüsse zu beobachten. Um das allerdings in einen größeren Kontext zu setzen, ist ein Blick weiter zurück in die Geschichte von Low-Code-Anwendungen interessant. Wie sind diese Anwendungen entstanden, wie haben sie sich entwickelt und welche Phasen haben sie durchlaufen? Nachfolgend zeichnen wir diese Geschichte im Zeitraffer nach und erläutern dabei die wichtigsten Motivationstreiber dahinter.
Entstehung: Von Rapid Development zu Low Code
Auch wenn Low-Code-Anwendungen erst in den letzten Jahren so richtig im Mainstream angekommen sind, gibt es den Ansatz zur Vereinfachung von Software-Programmierarbeiten schon wesentlich länger. Bereits in den 90er-Jahren haben Technologie-Konzerne erste Werkzeuge entwickelt, die eine Softwareprogrammierung mithilfe von fertigen Code-Bausteinen erleichtern sollte. Die Idee bildete sich aus dem damaligen Trend des Rapid-Application-Development (schnelle Anwendungsentwicklung) heraus. So konzentrierte man sich zunächst auf die Reduzierung der benötigten Codezeilen in einem Softwareprogramm selbst, erst nach und nach wurde dieser Ansatz weiterentwickelt und führte zu den sogenannten Low-Code-Plattformen. Im Gegensatz zu den heutigen Plattformen, die sich auch bzw. vor allem an Nicht-Techniker richten, waren die Werkzeuge damals allerdings ausschließlich als Erleichterung für Software-Entwickler gedacht.
Wachstum: Marktdominanz im Werden begriffen
Um die Jahrtausendwende bis in die frühen 2000er Jahre entstanden dann die ersten Software-Unternehmen, die sich vollkommen auf das Thema spezialisierten. Zu dem Zeitpunkt waren die Erwartungen am Markt noch relativ unklar und nur wenige (potenzielle) Nutzer waren sich den Möglichkeiten und Chancen dieser neuartigen Software-Gattung bewusst. Also agierten die Plattformen unter der strategischen Prämisse “Growth First”. Der Gedanke dahinter: Wer die funktionsreichste Plattform besitzt, kann am ehesten einen Bedarf decken und sich im Markt durchsetzen bzw. die Konkurrenz ausstechen. Die Strategie war für Einige erfolgreich: In der Wachstumsphase entstanden Allround-Plattformen mit einer heute marktdominierenden Stellung, der höchstens noch von den Tech-Größen aus der Entstehungsphase etwas entgegengesetzt werden kann.
Diversifizierung: In der Nische liegt die Chance
Ab 2010 wurde das Thema im Zuge der steigenden Nachfrage nach Digitalisierungslösungen langsam beliebter und auch die Nachfrage nach Low-Code-Plattformen stieg somit. Neue Marktteilnehmer standen allerdings nun vor der Herausforderung, mit den Gewinnern der Wachstumsphase und ihren Allround-Plattformen konkurrieren zu müssen. Diesen Newcomern blieben vereinfacht gesagt zwei Möglichkeiten, um in den Markt einzusteigen: entweder ein spezialisiertes Produkt mit hoher Funktionstiefe zu entwickeln und/oder sich auf bestimmte Zielgruppen bzw. Branchen zu konzentrieren. Denn auch wenn sich Allround-Plattformen zu der Zeit schon oft als Lösungsanbieter für jedes Problem sahen, gab es doch immer noch genug Nischen, die bisher unbearbeitet waren. Aus diesem Grund entstanden in dieser Phase viele Spezialanbieter mit recht spitzer Ausrichtung.
Konsolidierung: Get big or get out
Seit 2018 sind erste Anzeichen einer Anbietersättigung erkennbar. Hauptverantwortlich für diese Entwicklung ist der mittlerweile erreichte hohe Reifegrad der großen Plattformen. Sie sind inzwischen in so hohem Maße ausgebaut und flexibilisiert, dass sie horizontal wie vertikal in allen Unternehmensbereichen Anwendung finden können. Entscheidend ist aber vor allem die enorme Marktkapitalisierung der führenden Anbieter, vornehmlich aus den USA. Der CRM-Anbieter Salesforce z.B., mittlerweile auch ein gewichtiger Anbieter für Low-Code-Anwendungen, verfügt über eine Marktkapitalisierung von $160 Mrd., der Allround-Plattformer ServiceNow bringt es auf $75 Milliarden. Im Vergleich dazu: Das gehypte und mit viel Erwartungen aufgeladene Low-Code-Startup Bubble kommt auf eine Marktkapitalisierung von „nur“ $100 Mio. Man ahnt schnell, dass die großen Firmen über Mittel und Ressourcen verfügen, zu denen Nischenanbieter schlichtweg keinen Zugang haben. Ein kapitalstarker Anbieter kann absolut betrachtet immer wesentlich mehr in die Entwicklung neuer Low-Code-Features investieren. Oder er kauft konkurrierende Spezialanbieter einfach gleich auf. Eine Marktbearbeitungsstrategie, die zunehmend häufig zu beobachten ist. So hat zum Beispiel SAP zuletzt zusätzlich zu dem finnischen Spezialanbieter AppGyver auch das Berliner Startup Signavio für eine halbe Mrd. EUR übernommen, und integriert diese Unternehmen in ihre neue Low-Code-Plattform SAP Build. In nahezu allen Fällen der Übernahmen im Markt sind es die hochbewerteten Giganten, die kleinere Unternehmen mit besonderen Technologien schlucken und in ihre eigene Plattform aufnehmen. Diese Dynamik hat zur Folge, dass sich der Markt konsolidiert.
Ein weiterer begünstigender Faktor für den Übernahme-Appetit ist die gesamtwirtschaftliche Perspektive. Viele Tech-Startups befinden sich in ihrer Wachstumsphase und sind stets auf externes Kapital durch neue Finanzierungsrunden angewiesen. Wenn nun, aufgrund der unsicheren politischen und damit ökonomischen Lage, das Angebot an Venture Capital sinkt, müssen die Startups entweder ihre Kosten drastisch senken oder es läuft auf einen Exit hinaus.
Ausblick: Ein Muster wiederholt sich
Auch wenn eine weiter voranschreitende Konsolidierung ein wahrscheinliches Szenario für die Zukunft ist, kann es dennoch ganz anders kommen. Denn die zukünftige Entwicklung des Markets hängt wie immer von vielen Faktoren ab und in diesem Fall wird vor allem die Angebot-Nachfrage-Situation mit entscheidend sein.
Die Nachfrage an Low-Code-Plattformen dürfte in den nächsten Jahren grundsätzlich nicht abnehmen – vermutlich wird eher das Gegenteil der Fall sein. In einer sich immer stärker digitalisierenden (Unternehmens-)Welt und gerade befeuert durch den aktuellen Prozess-Automatisierungs-Hype (Robotic Process Automation) wird weiterhin der Bedarf nach schnellerer und/oder effizienterer Softwareentwicklung steigen, ganz gleich, ob es sich dabei nur um einzelne Komponenten handelt oder um vollständige Infrastrukturen. Aufgrund der hohen Funktionsvielfalt und Integrationsfähigkeit wird Low-Code dabei immer häufiger in den Überlegungen der IT-Abteilungen eine Rolle spielen.
Auf Anbieterseite wiederholt sich derweil ein Muster aus der Wachstumsphase, um sich eigenständig am Markt zu halten: Wachsen, oder sich weiter spezialisieren, was allerdings aufgrund der zu damals veränderten Rahmenbedingungen in der Marktdominanz ungleich schwerer wird. Es bleibt daher spannend zu beobachten, inwieweit der technologische Fortschritt, vor allem in der Robotic Process Automation, zu weiter spezialisierten und innovativen Lösungen führen kann – man denke an das bisher noch nicht gehobene Potenzial an Einsatzmöglichkeiten der künstlichen Intelligenz – und inwiefern die Anbieterseite darauf reagiert. Eines ist auf jeden Fall sicher: Low-Code-Plattformen haben sich dauerhaft etabliert und werden bei künftigen Digitalisierungsvorhaben eine noch größere Rolle spielen.