Corona hat uns fest im Griff, Remote-Arbeit, dezentrale und asynchrone Zusammenarbeit wird sich verstetigen – auch mit weiterer Lockerung der Maßnahmen wird sich ein new normal im Arbeitsleben etablieren. Wenn wir uns einmal vor Augen führen, dass wir bereits in der Vor-Corona Zeit nicht alle in einem Büro zusammengearbeitet haben, ist dezentrale und asynchrone Zusammenarbeit keine Seltenheit. Wer hat nicht externe Teammitglieder an Bord, die sogar ortsfremd oder in anderen Zeitzonen arbeiten? So neu ist die remote Zusammenarbeit daher nicht, sie wird nur aus der Ausnahme zum neuen Standard. Auch in vielen agilen Unternehmen ist dezentrales Arbeiten keine Neuerung, aber warum funktioniert das?
Augenmerk liegt hierbei auf den agilen Grundwerten: Die in der Agilität angelegten Grundsätze zu Selbständigkeit und Eigenverantwortung bedeutet nicht nur eine weitestgehend in sich gekapselte Funktionsweise des Teams für sich, sondern zudem auch die Autonomie eines jeden einzelnen Teammitglieds. Das sorgt damit ganz von allein für eine entsprechende Resilienz gegenüber Ereignissen oder Einflüssen (extern wie intern), die eine Remote-Arbeit plötzlich erforderlich werden lassen. Als Mitglied eines agilen Teams nehme ich also eigentlich keine große Veränderung in meiner Arbeitsweise wahr. Ebenso sind die Scrum-Strukturen ein guter Anfang für jede Person, die sich neu in einer Remote-Situation befindet. Regelmäßige Termine sorgen für einen guten Austausch zum Projektfortschritt und zu den aktuellen Herausforderungen. Auch Menschen, die sich manchmal schwieriger alleine motivieren können, haben aufgrund der Teilnahme an den Meetings eine automatische Arbeitsstruktur.
Diese Kombination lässt einen Erfolg von Scrum-Teams nicht nur bei zentralen, sondern auch bei dezentralen Teams zu. Mit dem Wechsel in ein Remote-Arbeitsmodell sollte man trotz der oberflächlich vielen gleichen Arbeitsweisen einige Punkte beachten, um dieses Modell zu einem (persönlichen) Erfolg zu bringen.
Dezentrales arbeiten – Rund um die Welt und um die Uhr
Ein großer Vorteil des dezentralen Arbeitens ist die Flexibilität für jedes Teammitglied. Jeder kann für sich aussuchen, wann er arbeiten möchte und auch wo. Dies ermöglicht es sogar, Teams über Zeitzonen hinweg zu erstellen oder einfach vom Balkon aus in der Sonne zu arbeiten.
Diese Freiheit birgt auch Risiken: Da jedes Teammitglied selbst entscheidet, wann und wie es an dem Projekt arbeitet, können Konfliktpotentiale entstehen. Es gibt Mitglieder, die eher in den Morgenstunden Ihren produktiven Teil des Tages haben und wieder andere eher abends. Wenn man sich nun vorstellt, dass Teammitglieder teilweise in anderen Zeitzonen am gleichen Projekt arbeiten, gibt es weitere Probleme.
Hier sollte für alle Personen klargemacht werden, wann und wie jedes einzelne Mitglied erreichbar ist. Die digitalen Kalender sollten immer gepflegt sein. Auch Dinge wie eine Kern-Zeit, in der alle online sind, kann eingerichtet werden, sodass für jede Person schnell und einfach die Erreichbarkeit der Kollegen sichtbar ist.
Bedeutung von Technik für das Arbeiten von zuhauseViele Agile Coaches raten meist von räumlich distanzierten Teammitgliedern ab. Dies hat viele gute Gründe: Sei es, dass die kurze Frage wegen des neuen Prozesses an den Kollegen über den Schreibtisch nicht funktioniert oder das „Wir“ Gefühl nicht wirklich aufkommt. Doch leider ist die Realität nicht immer so, wie man sie sich wünscht: Teams sitzen nicht nur in einem Unternehmen verteilt, sondern teilweise auch im ganzen Lande oder darüber hinaus. Doch wie schafft man es nun, dass Teams trotz Entfernung zusammenhalten?
Hier ist die Technik immer mehr in den Vordergrund gekommen, um diese Entfernung zu überbrücken. Video-Chats verbessern den täglichen Austausch enorm, da Mimik und Gestik übertragen werden kann. Der kurze Plausch am Kaffeeautomaten kann durch den „Out-Off-Topic“ Channel ersetzt werden und dank Emojis und GIFs lassen auch mehr Emotionen über Textformate erzeugen.
Kommunikation – der Kernaspekt in Zeiten von RemoteSozialer Kontakt mit dem Kollegen ist ein elementarer Teil der Arbeit. Ob es bei diesem Austausch direkt um berufliche Situationen handelt, wie ein Problem mit der Arbeit oder auch einfach nur der Small-Talk an der Kaffeemaschine, für viele Menschen gehört dies zur Arbeit.
Doch wenn man nun auf räumlich distanzierte Teams zurückgreift, fehlt dieser spontane Austausch. Es gibt nicht die Möglichkeit den Kollegen aus dem Team spontan mal über den Schreibtisch etwas zu fragen. Hier ist es wichtig das diese Form von Austausch ermöglicht wird.
Ein wichtiger Part ist auch die Möglichkeit die Scrum Artefakte zu digitalisieren. Es gibt viele Tools, die eine Darstellung der Scrum-Boards in digitaler Form ermöglichen. Der wohl bekannteste ist hierbei JIRA von Atlassian. Ebenso können dort das Sprint- bzw. das Productbacklog für alle Teammitglieder dargestellt werden.
Viele Unternehmen nutzen bereits digitale Werkzeuge wie JIRA. Diese können Sie natürlich weiterhin verwenden. Falls kein digitales Scrum Board vorhanden ist, können Sie auf die kostenlose Variante von Trello umschwenken.
Tipp: Derzeit ist die Atlassian Suite für kleine Unternehmen kostenlos verfügbar.
Die Scrum Events – Zusammenarbeiten aber nicht zusammensitzenScrum ist anfänglich für ein Team entwickelt worden, das keine räumliche Trennung vorsieht. Das damals noch Daily Stand-Up wurde so durchgeführt, dass alle Personen sich in einem Raum befinden, vor dem Scrum Board stehen, die einzelnen Post-IT Tickets anschauen und sich über den kommenden Tagesverlauf austauschen.
Durch die Verbreitung von Scrum auf weitere Unternehmen, die keine Möglichkeit haben sich täglich zusammen zu finden, wurde andere Möglichkeiten geschaffen dies zu ermöglichen. Das persönliche Treffen wird durch Telefon und Video-Calls ersetzt und die Boards und Tickets wurden digitalisiert.
Tipp: Kostenlose Tools für Videochat
Google Meet
Der Nachfolger von Google Hangouts. Normalerweise Bestandteil der kostenpflichtigen Produktivitäts-Toolsammlung G Suite, bietet Google das Programm bis zum Ende September kostenfrei an. Auch die maximalen 60 Minuten Gesprächszeit werden bis dahin aufgehoben.
Microsoft Teams
Slack
Zoom
Jitsi
Doch es reicht leider nicht, dass jeder Teilnehmer nun anstatt sich in den Raum zu begeben, die Webcam anmacht. Gespräche verlaufen anders durch den Video-Call als durch die physische Präsenz. Es wird weniger geredet, Verzögerungen durch die Bandbreite lässt Leute sich vermehrt ins Wort fallen oder auch das klassische „Wer fängt jetzt an“-Spiel, bei dem sich keiner traut.
Solche Probleme müssen mit dem Team besprochen werden und sollten zu gewissen Regeln führen. Besonders gefragt ist hierbei der Einsatz des Scrum Masters. Er muss dafür Sorge tragen, dass Personen, die nun ruhiger sind, ebenso zu Wort kommen, wie Personen die verbal mehr Raum einnehmen.
Es sollte in einer der ersten remote Retros Regeln aufgestellt werden, wie man diese Probleme verhindert. Ziel ist es, dem physischem Meeting so nah wie möglich zu kommen.
Es sollten klare Vereinbarungen für die Art und Weise der Zusammenarbeit getroffen werden. Hierfür sollten 30 Minuten für eine gemeinsame Festlegung im Team ausreichen. Gegebenenfalls müssen die Vereinbarungen kontinuierlich überprüft und beruhend den Erfahrungen der Online Zusammenarbeit angepasst werden.
Hier ein paar Beispiele für Vereinbarungen zur Zusammenarbeit:
- Alle Teilnehmer sind mindestens 5 Minuten vor dem Termin im Videochat
- Alle Teilnehmer aktivieren die Kamera
- Deaktivierung des Mikrofons, wenn man nicht spricht
- Fokussierte Aussagen, keine langen Ausführungen
- Langsam sprechen
- Meetings dauern nicht länger als 90 Minuten
- Alle 45 Minuten 5-10 Minuten Pause
- Remote Meetings werden pünktlich beendet
Sind diese Regeln festgelegt, ist es Aufgabe des Scrum Masters dafür Sorge zu tragen, dass sich jeder an diese Regeln hält und sie befolgt. Es muss nun besonders darauf geachtet werden, dass nicht nur das Ziel des Meetings erreicht wird, sondern auch das die Wohlfühlatmosphäre für jedes Teammitglied ermöglicht wird.
Ein Beispiel dieser Regel kann sein, dass ähnlich wie z.B. bei einem Kanzlerduell die Zeit pro Person gemessen wird. Dies hat zur Folge, dass jede Person die gleiche Anzahl an Minuten pro Thema hat wie jede andere. So eine verschärfte Regel sollte allerdings auch regelmäßig auf Ihre Wirksamkeit geprüft werden.
Tipp: Die Phrase „Sind alle damit einverstanden?“ lässt die oftmals ein Schweigen nach sich ziehen. Fragen Sie lieber die Teilnehmer mit einer direkten Ansprache ob Sie etwas dagegen zu bringen haben: „Was meinst Du denn dazu Angelika/Ben?“
Falls es im Unternehmen nicht schon entsprechende Tools für kollaboratives Arbeiten gibt, es gibt im Internet jede Menge Tools, um Eure Arbeit zu visualisieren. Ein kurzer Check, ob ein geeignetes Tool im Unternehmen eingesetzt werden darf, ist aber auf jeden Fall ratsam.
Zusätzliche Tools
Es gibt natürlich auch eine große Anzahl von kostenpflichtigen Tools (z.B. Scrumlr oder Mural), die eure Remote Scrum Events vereinfachen.
Besonderes Augenmerk sollte auf die Retrospektive gelegt werden. Das Herzstück von Scrum ist in einer digitalen Welt anders, als wenn man Themen direkt vor Ort bespricht. Dies merkt man selbst bei eingespielten Teams, wenn sich das Verhalten einzelner Personen im Videochat ändert im Gegensatz zum physischem Treffen. Der Einsatz von speziellen Tools für die Durchführung einer Retrospektive wie z.B. Mural, Retrium, Retrotool oder Parabol ist also unbedingt zu empfehlen. Solche Tools verbessern zum Einen deutlich die Struktur einer Retrospektive, zum Anderen können sie das ansonsten immer gleich ablaufende Meeting etwas auffrischen.
Tipp: Wenn Sie neue Ideen für Ihre Retro benötigen besuchen sie doch mal www.retromat.org. Die hier aufgezeigten Retros sind auch einfach digital umzusetzen.
Sobald nun die Tickets und das Board digitalisiert wurden, müssen für die Teams noch ein geeignet und für alle zugängliches Ablagesystem geschaffen werden. Dies kann unterschiedliche Formen haben. Das eigene Cloud-System, Microsoft Teams oder die VPN-Verbindung zum Unternehmensserver.
Soziale Events sind in verteilten Teams erfolgskritisch
Während in einem Büro der soziale Austausch auf natürliche Weise geschieht, z.B. in der Teeküche oder beim gemeinsamen Mittagessen, stehen verteilte Teams vor anderen Herausforderungen. Die zufällige Plausch an der Kaffeemaschine kommt nicht zustande, man sitzt ja nicht am gleichen Ort. Dennoch können auch Teammitglieder in verteilten Teams eine enge Bindung eingehen. Das Team muss also für solche Begegnungen absichtlich sorgen. Hier ein paar Beispiele:
- Zweimal wöchentlich je 15 Minuten eine Remote Kaffeepause
- Gemeinsames virtuelles Frühstücken bzw. Mittagessen
- Online Spiele spielen
- Remote Feierabendbier
- Bilder aus Privatleben teilen
- Emotionen durch Emojis ausdrücken
- Eigener Kommunikationskanal für witzige Bilder und Videos
- Remote Einzelgespräche
Tipp: Kleiner Foto-Wettbewerbe wie “Wer hat das Homeoffice am schönsten eingerichtet?” sorgen dafür, dass sich die Situation auflockert und die Zwischenmenschlichkeit steigt.
Bonus: Unsere Checkliste für das Remote-Scrum
Arbeiten Sie diese Checkliste mit dem Team ab, um ein erstes Setup für Remote Scrum zu bekommen:
- Technisches Setup einrichten
- Videochat
- Scrum Board
- Dateiablage
- Collaboration-Tool
- Working Agreements definieren und zugänglich für alle Teammitglieder ablegen
- Für Sprint Planning, Daily Scrum, Sprint Review, Sprint Retrospektive und Refinement eine Übersicht mit folgenden Details erstellen und zugänglich für alle Teammitglieder ablegen
- Ziel des Termins festlegen
- Agenda festlegen (inklusive Pausen)